Aufrüstung der Aufständischen – Instrument zur Beendigung des Syrien-Konfliktes?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 18.05.2013

NDR Radio

Während der Bürgerkrieg in Syrien weiter tobt, gewinnt eine alte Idee neue Anhänger: Wäre es angesichts der Übermacht des Assad-Regimes nicht an der Zeit, die Rebellen zu bewaffnen? Die Frage stellt sich für die Europäische Union spätestens Ende Mai. Denn dann läuft das Waffenembargo aus, das die EU gegen Syrien verhängt hat. Und auch die US-Regierung in Washington wird von syrischen Oppositionellen gedrängt, den Aufständischen Waffen zu liefern.

Die Idee ist nicht neu. Seit der Aufstand gegen das Assad-Regime von friedlichen Protesten in militanten Widerstand umschlug, gibt es die Forderung, die in der „Freien Syrischen Armee“ organisierten Rebellen militärisch zu unterstützen. Syrische Oppositionelle machen in westlichen Hauptstädten eifrig Werbung dafür.

Gefordert werden unter anderem Panzerabwehrwaffen und Boden-Luft-Raketen. Damit könnten die Aufständischen Assads Armee und Luftwaffe zurückschlagen und, so die dahinterstehende Überlegung, ganze Gebiete unter ihre Kontrolle bringen. Von dort aus könnten die Rebellen dann weiter vor-rücken. Der ehemalige ARD-Auslandskorrespondent im Nahen Osten, Marcel Pott, vermutet, dass der Westen nicht um Waffenlieferungen herumkommen wird. Andernfalls werde er jeden Einfluss auf die Aufständischen verlieren, warnt Pott:

O-Ton Marcel Pott

„Ich glaube, dass man gezielt Waffen an bestimmte Gruppierungen liefern sollte. Vor allen Dingen aber auch in Zusammenhang mit der notwendigen militärischen Ausbildung. Das, glaube ich, wird man tun müssen. Und dies muss man kombinieren gleichzeitig auch mit ausreichender humanitärer Hilfe in den Gebieten, die von den Rebellen kontrolliert werden. Da hat der Westen bisher überhaupt nicht oder fast gar nicht geholfen.“

Doch bislang zögert der Westen. Selbst die türkische Regierung, sonst immer an der Seite der Aufständischen, befürchtet zum Beispiel, dass in Syrien de facto ein kurdischer Staat entstehen könnte, ähnlich wie im Nordirak. Dieser aber würde den kurdischen Separatismus im Südosten der Türkei befeuern, so die Befürchtung. Deshalb ist die Türkei auch vorsichtig mit Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen. Zwar werden laut Medienberichten schon heute kleinere Mengen Waffen über den Süden der Türkei an die Aufständischen geliefert. Aber Ankara will keine Flugabwehrwaffen in den Händen von kurdischen Rebellen sehen. Denn die könnten auch gegen die türkische Luftwaffe eingesetzt werden.

Ungeklärt ist zudem, welche Rebellengruppen man unterstützen soll und welche nicht. Denn unter den militanten Assad-Gegnern befinden sich auch Islamisten. Sie wollen Assad ebenfalls stürzen, aber nicht, um dann die Demokratie in Syrien einzuführen, sondern um einen Gottesstaat zu errichten. Die wichtigste Gruppe, die Al-Nusra-Front, hat sich bereits ganz offen zum Terrornetzwerk Al Qaida bekannt.

Wie groß der Anteil der Glaubenskrieger an der Rebellion gegen Assad ist, kann nicht seriös beziffert werden. Experten gehen allerdings von etwa zehn Prozent aus. Das klingt zunächst nach wenig, aber Kriegssituationen wie in Syrien sind der ideale Nährboden für radikale Minderheiten. In Syrien haben die gemäßigten Kräfte möglicherweise schon jetzt jeden Einfluss verloren, warnt Nahost-Kenner Marcel Pott:

O-Ton Marcel Pott

„Es könnte schon zu spät sein, weil diese Kräfte relativ schwach sind im Vergleich zu den Dschihadisten von der Al-Nusra-Front, die auch militärisch große Erfolge erzielt haben und die durch ihre soziale Arbeit in den Gebieten, die sie kontrollieren, bei der Bevölkerung mehr und mehr an Sympathie gewinnen. Nicht weil die Leute extremistisch denken, sondern weil die Leute sich jemanden wünschen, der sie schützt und der für Ruhe und Ordnung sorgt.“

So ist Syrien mittlerweile zum neuen Kampffeld für extremistische Muslime aus aller Welt geworden. Auch aus Deutschland reisen offenbar immer mehr Islamisten nach Syrien. Deutsche Sicherheitsbehörden warnten Ende April, bislang seien Terrorverdächtige vor allem nach Waziristan beziehungsweise Pakistan gereist. Inzwischen ziehe es sie eher nach Syrien: Die Reise dorthin ist vergleichsweise einfach, da man nur einen deutschen Personalausweis braucht, um ins türkische Istanbul zu fliegen. Von dort geht es dann auf dem Landweg durch die Türkei bis an die syrische Grenze. Die deutschen Sicherheitsbehörden sorgen sich laut Medienberichten, dass die Islamisten in Syrien Kampferfahrung sammeln und später in Deutschland Anschläge verüben.

Angesichts der Rolle der Islamisten im syrischen Widerstand wundert es auch nicht, dass die Bewaffnung der Rebellen schon mehrfach verworfen wurde. So hat US-Präsident Barack Obama im vergangenen Herbst Waffenlieferungen ausdrücklich abgelehnt. Obwohl seine damalige Außenministerin Hillary Clinton wie auch der damalige CIA-Direktor David Petraeus darauf gedrängt haben sollen.

Und in der EU waren Frankreich und Großbritannien schon fast einmal soweit. Paris wollte die Aufständischen notfalls sogar im Alleingang bewaffnen – gegen den Willen Berlins. Doch in letzter Minute ruderte die französische Regierung zurück. Präsident François Hollande begründete das ausdrücklich damit, dass nicht sichergestellt werden könne, in wessen Hände die gelieferten Waffen letztlich gelangten. So blieb es vorerst dabei, dass die syrische Opposition vom Westen massiv finanziell und diplomatisch unterstützt wird. Offenbar kommen die Aufständischen aber schon jetzt an Waffen. Es heißt, vor allem durch die Hilfe aus Saudi-Arabien und Katar.

Hilfsorganisationen warnen allerdings davor, dass jede Lieferung von Waffen – ob an die Assad-Regierung oder die Opposition – den Konflikt nur anheizen würde. Das mache Hilfe für die betroffene Bevölkerung schwierig, warnt Thomas Gebauer, Geschäftsführer von Medico International:

O-Ton Gebauer

„Wir können, solange der Konflikt sich militärisch weiter eskaliert, kaum Hilfe leisten. Es ist kompliziert und schwierig, an die Menschen, die darunter leiden, heranzukommen. Es wird dann noch komplizierter werden, vor allem, weil ja nicht abzusehen ist, wie der Konflikt sich dann noch regional weiterentwickelt und möglicherweise über die Landesgrenzen von Syrien hinaus ausweitet.“

Die deutsche Hilfsorganisation unterstützt in Syrien unter anderem ein kurdisches Bürgerkomitee. Medico International ist Teil des Bündnisses „Entwicklung Hilft“, in dem sich sieben deutsche Hilfswerke zusammengeschlossen haben. Neben Medico International sind unter anderem Brot für die Welt, Misereor und die Welthungerhilfe dabei. Das Bündnis fordert, alle Waffenlieferungen in die Konfliktregion zu unterbinden. Also nicht nur an die Aufständischen, sondern auch an das Assad-Regime. Thomas Gebauer:

O-Ton Gebauer

„Es ist das Problem, dass dieser Konflikt – und da sind sich, glaube ich, alle einig – militärisch nicht zu lösen ist. Jede Art von weiterer Bewaffnung führt dazu, dass das Leiden der Bevölkerung größer wird. Die einzige Chance liegt in der politischen Lösung.“

Es gibt also eine Alternative zu Waffenlieferungen an die Rebellen: Keine Waffenlieferungen, egal an wen, Deeskalation, politische Verhandlungen. Damit könnte der Westen eine Wiederholung dessen vermeiden, was sich vor mehr als 20 Jahren in Afghanistan abgespielt hat. Damals wurden im Kampf gegen die sowjetischen Truppen die Mudschaheddin mit Waffenlieferungen unterstützt. Nachdem Moskau seine Soldaten abgezogen hatte, wandten die Glaubenskrieger die Waffen dann gegen den Westen. In Syrien droht nun ein ähnliches Szenario. Auch wenn die Vertreter der gemäßigten Aufständischen versprechen, die Waffen würden nicht in die Hände von Extremisten gelangen – eine Garantie dafür gibt es allerdings nicht.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20130517-1434-2942.mp3