Informationsflut durch Drohnen und andere Waffensysteme – Überforderte und gestresste Soldaten?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 12.03.2011

NDR Radio

Drohnen sind die neuen Wunderwaffen der Militärs. Die unbemannten Mini-Flugzeuge liefern Aufklärungsbilder oder feuern Raketen und Bomben ab. Vor allem im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, das als Hochburg der Taliban gilt, jagen die USA mit Drohnen islamistische Kämpfer. Unter Präsident Barack Obama wurden diese Einsätze sogar noch massiv ausgeweitet. Unproblematisch ist das nicht, denn immer wieder fallen Zivilisten den Angriffen zum Opfer. Laut pakistanischen Angaben wurden bei Drohnenangriffen im vergangenen Jahr etwa 700 Menschen getötet.

Eine mögliche Ursache: Militärs vermuten, dass die Soldaten überfordert sind, alle vorhandenen Informationen wie Videobilder, E-Mails, Funksprüche oder Telefonanrufe richtig auszuwerten. In mindestens einem Fall soll es deswegen schon zu einem tödlichen Fehler gekommen sein. Wie die „NEW YORK TIMES“ Mitte Januar berichtete, wurden im Februar 2010 in Afghanistan 23 Zivilisten durch eine Drohne vom Typ Predator getötet. Gelenkt wurde das unbemannte Flugzeug von Soldaten einer mehrere tausend Kilometer entfernten Airforce-Base im US-Bundesstaat Nevada. Sie sollen mit all den Daten überfordert gewesen sein und daher den verhängnisvollen Entschluss gefasst haben, Zivilisten anzugreifen.

Die Entwicklung von Drohnen und neuer Aufklärungs- und Überwachungstechniken haben die Datenmenge, die dem amerikanischen Militär zur Verfügung steht, rapide anwachsen lassen: seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 um 1.600 Prozent, sagen Kenner. Nie wieder sollte es zu Informationspannen kommen wie im Vorfeld des 11. September, als die Geheimdienste die Anschläge trotz vorliegender Informationen nicht verhindern konnten. Als Folge ist die Menge der eingehenden Informationen, mit der Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter fertig werden müssen, dramatisch angestiegen.

Psychologen gehen allerdings davon aus, dass Menschen nicht geeignet sind zum sogenannten Multitasking. Maximal zwei Aufgaben können die meisten Menschen demnach zur gleichen Zeit korrekt erledigen. Die US-Militärs haben deshalb Forscher beauftragt, herauszufinden, wie Soldaten mit den Datenmengen des Digitalzeitalters klar kommen. Untersucht wird auch, ob sich Jugendliche, die durch die digitalen Medien bereits mit Multitasking aufgewachsen sind, schlechter konzentrieren können. Das US-Militär testet deswegen ein neues Trainingsprogramm für junge Soldaten, durch das diese lernen sollen, sich besser auf eine Sache zu fokussieren.

Beim Einsatz von Drohnen wird die Auswertung der eingehenden Datenmengen zusätzlich durch schlechte Arbeitsbedingungen erschwert: Zwölf Stunden dauert eine Schicht, in der die Soldaten die Live-Aufnahmen aus Afghanistan auswerten, berichtete die „NEW YORK TIMES“. Die Bilder laufen auf zehn verschiedenen Bildschirmen gleichzeitig ein – weil die Drohnen oftmals über mehrere Kameras oder Sensoren verfügen.

Doch was sind solche Bilder wert? Militärs räumen ein, dass Informationen von vor Ort wichtig sind, um die Luftaufnahmen korrekt interpretieren zu können. Ansonsten bleibt nur das, was US-Soldaten mittlerweile das „Todes-Fernsehen“ nennen: Live-Aufnahmen aus dem Kriegsgebiet, ausgestrahlt auf Tausende Kilometer weit entfernte Monitore. General James E. Cartwright, der stellvertretende Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, beschrieb diese Schwierigkeiten bei der Auswertung der Datenmengen im November auf einer Konferenz in New Orleans:

O-Ton Cartwright (overvoiced)

„Heute sitzen Analysten da und starren stundenlang auf das Todes-Fernsehen, nur um ein einzelnes Ziel auszumachen oder zu sehen, ob sich irgendetwas bewegt und etwas passiert, was ein zulässiges Ziel wäre. Das ist einfach eine Verschwendung von Arbeitskraft und es ist ineffizient.“

Bundeswehrsoldaten sehen bisher keine Gefahr der Informationsüberflutung, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten würden. Man dürfe eben nicht nebenher bei Facebook surfen oder Mails abfragen, sagte ein Soldat, der Erfahrung mit Drohnen hat, NDR Info. Und anders als beim US-Militär müssten die Teams, die die unbemannten Flugzeuge steuerten, alle paar Stunden ausgetauscht werden. Danach seien die Soldaten einfach erschöpft. Die bisherige Praxis bei der Bundeswehr habe außerdem gezeigt, dass es besser sei, wenn erfahrene Piloten die Drohnen steuerten als jugendliche Computer-Freaks, die noch nie selbst in der Luft waren.

Für erfahrene Piloten ist der Einsatz einer Drohne auf jeden Fall eine Erleichterung, argumentiert der frühere Starfighter-Pilot Hermann Hagena: Schließlich müssten sie dann nicht noch ein Flugzeug nebenher fliegen, argumentiert der ehemalige Brigadegeneral der Bundeswehr. Die Gefahr von zu viel Informationen sieht er nicht. Es gebe eher das Problem, nicht alle möglichen Informationen erfassen zu können, sagt er mit Blick auf Drohnen wie den vom US-Konzern Northrop Grumman produzierten Global Hawk:

O-Ton Hagena

„Wenn Sie etwa an den Global Hawk denken, der in zehn, zwölf Kilometer Höhe fliegt oder noch höher und dann natürlich ein verhältnismäßig großes Gebiet abdeckt, dann sehe ich eher die Gefahr, dass man bestimmte Dinge übersieht.“

Wegen der vielen Möglichkeiten, die die Drohnen bieten, ist ihr Einsatz ohnehin nicht aufzuhalten, ist sich Hermann Hagena sicher. Die Bilder, die etwa Tornado-Aufklärungsflugzeuge liefern, müssten extra ausgewertet werden. Drohnen dagegen lieferten Bilder, die in Echtzeit an die Gefechtsstände übertragen werden können:

O-Ton Hagena

„Die Bilder sind zwar nicht von der gleichen Qualität wie sie etwa der Tornado liefert, aber es sind bewegte Bilder. Man kann also Bewegungen verfolgen und man kann auch die Drohnen so programmieren, dass sie also etwa einem Fahrzeug oder einem Trupp von Feinden folgen, damit man sieht, wo die sich möglicherweise verstecken. Und wenn man dann diese Drohnen, die in Echtzeit Bilder liefern, gemeinsam mit Kampfdrohnen einsetzt, dann hat man natürlich einen unbestreitbaren Vorteil.“

Drohnen werden also weiter eingesetzt – auch wenn zivile Opfer programmiert sind: Denn unbemannte Fluggeräte sind billiger als Flugzeuge und Satelliten. Soldaten müssen nicht als Piloten ihr Leben aufs Spiel setzen. In den USA ist bereits eine nächste Generation Drohnen in der Entwicklung, die unter anderem bis zu einer Woche in der Luft bleiben kann. Auch die Menge der gelieferten Informationen und Bilder wird erheblich steigen. Während Drohnen heute nur ein, zwei Gebäude mit einer Kamera überwachen, soll zum Beispiel die neue Drohne „Gorgon Stare“ mit neun Kameras ein Gebiet von der Größe einer Stadt überwachen können. Die Schwierigkeiten, alle Daten auszuwerten, werden also nicht geringer.

Und die USA sind übrigens nicht das einzige Land, das auf Drohnen setzt. Sie werden inzwischen auch von der Bundeswehr eingesetzt. Neben den USA ist Israel führend in der Herstellung. Indien produziert mittlerweile eigene Drohnen. Neu-Dehli hat aber wie Russland auch israelische Drohnen gekauft. Und auch der Iran meldet nicht nur gelegentlich den Abschuss von angeblichen Spionage-Drohnen des Westens, sondern hat inzwischen eine eigene Drohne produziert. Das Zeitalter der Drohnen hat also gerade erst begonnen.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20110311-1522-1201.mp3