Telepolis, 16.10.2002, http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13380/1.html
Innenpolitik Telepolis
Gegen Schäden durch Terrorismus können sich deutsche Firmen in Zukunft versichern. Ein Jahr nach dem 11. September haben Versicherungswirtschaft und Bundesregierung die [1]Extremus AG gegründet. Sie versichert gegen Sach- und Betriebsunterbrechungsschäden durch Terroranschläge. Voraussetzung ist, dass die Versicherungssumme oberhalb von 25 Millionen Euro liegt.
Pro Einzelrisiko liegt die Höchstsumme bei 1,5 Milliarden Euro, die Extremus im Fall von Terroranschlägen zahlt. Dafür müsste ein Unternehmen knapp 8,2 Millionen Euro Beitrag pro Jahr bezahlen. Im niedrigsten Fall liegt der jährliche Beitrag bei 6250 Euro, die einer Versicherungssumme von 25 Millionen Euro entsprechen und einer Höchstentschädigung in gleicher Höhe.
Die Gründung von Extremus war nötig geworden, weil nach dem 11. September kein Versicherungsunternehmen mehr bereit war, für Schäden oberhalb einer Versicherungssumme von 25 Millionen Euro aufzukommen. Das traf vor allem große Unternehmen, die vorher gegen Terrorrisiken meistens im Rahmen der Industriepolicen versichert waren. Extremus zahlt zum Beispiel im Fall von “Anprall oder Absturz von Luftfahrzeugen oder Flugkörpern sowie Fahrzeugen aller Art, ihrer Teile oder Ladung”. Für einen “Terrorakt” haben die Versicherer folgende [2]Definition gefunden, über die sich allerdings juristisch gut streiten lässt, wie das Unternehmen gegenüber der “Frankfurter Rundschau” vom 26. September zugab:
“Terrorakte sind jegliche Handlungen von Personen oder Personengruppen zur Erreichung politischer, religiöser, ethnischer oder ideologischer Ziele, die geeignet sind, Angst oder Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten und dadurch auf eine Regierung oder staatliche Einrichtungen Einfluss zu nehmen.”
An der in Köln ansässigen Extremus AG ist die Creme de la Creme der deutschen Versicherungs- und Finanzwirtschaft beteiligt, darunter die Allianz, die Deutsche Bank, Gerling und Gothaer. Insgesamt sind es 50 Firmen, die zusammen 3 Milliarden Euro Rückversicherungskapazität bereitgestellt haben. Reicht das nicht, springt der Staat mit bis zu zehn Milliarden Euro ein. Damit liegt die Deckungssumme bei 13 Milliarden Euro.
Auf die viel beschworenen Selbstregulierungskräfte des Marktes wollte sich die Wirtschaft lieber nicht verlassen. “Nur Staat und Wirtschaft gemeinsam konnten diese neue Aufgabe bewältigen”, [3]sagte GDV-Präsident Bernd Michaels. Zur staatlichen Beteiligung gibt es nach Ansicht von Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle keine Alternative:
“Wir müssen alle daran interessiert sein, dass die Risiken weiter versicherbar bleiben. Und wenn es um extrem große Dimensionen eines Terrorkrieges geht, der politisch motiviert ist und sich nicht gegen einzelne Unternehmen richtet, muss auch der Staat seinen Beitrag leisten.”
Jetzt wartet das neue Unternehmen auf Kunden. “Ein geliebtes Kind sind wir nicht, schon weil wir nur Versicherungsschutz in Deutschland anbieten können”, räumte Bruno Gas ein, Vorstandsvorsitzender von Extremus und früher Vorstandsvorsitzender der Mecklenburgischen Versicherungsgesellschaft a.G.. Gegenüber der [4]Welt sah er seine Branche auf dem Weg zurück in die Kleinstaaterei. “Kein Staat will für Schäden in anderen Ländern haften”, so Gas, weswegen auch in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien und Frankreich ein eigener Versicherungsschutz gegen Terrorschäden aufgebaut werde.
Trotzdem gab er sich optimistisch, dass die deutsche Wirtschaft das neue Angebot nachfragen werde. Extremus strebt ein Prämienvolumen von mindestens 300 Millionen Euro an, das in den nächsten drei Jahren auf 550 Millionen steigen soll. Die 300 Millionen erachten die Gesellschafter für notwendig, um kostendeckend arbeiten zu können. Werde das Ziel nicht erreicht, müsse der Extremus wieder dicht machen, [5]hieß es beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). 300 Millionen Euro sind knapp ein Drittel der Summe, die deutsche Unternehmen für ihren Feuerversicherungsschutz aufbringen.
Laut Alan L. May, Vorstandsvorsitzender Special Risk Insurance and Reinsurance S.A. (SRIR), ist das Interesse der Wirtschaft an dem neuen Angebot groß. “Wir haben bereits 67 Anfragen bekommen und 15 Angebote versandt”, so May gegenüber dem [6]Handelsblatt. Er erwarte Prämieneinnahmen von 50 bis 100 Millionen Euro bis Ende nächsten Jahres. “Die Geldgeber wie Banken oder die Aktionäre werden genau nachfragen, ob Vermögenswerte vor einer Zerstörung durch Terror abgesichert sind.”
Nicht alle in Industrie und Finanzwirtschaft sind vom Erfolg von Extremus überzeugt. “In der Industrie gibt es eine deutliche Skepsis gegenüber der Terrorversicherung”, zitiert der [7]Tagesspiegel den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). BDI-Experte Jan Wulfetange bemängelte, dass die Terrorversicherung nur Schäden in Deutschland abdecke. Das mache die Versicherung für international agierende Unternehmen unattraktiv. Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle hofft, mit Extremus Terrorschäden wie die vom 11. September wieder wirtschaftlich beherrschbar werden:
“Als die erste privatwirtschaftlich finanzierte Rakete in den Weltraum geschossen wurde, hatte die Versicherungswirtschaft ein großes Problem, weil es für dieses Risiko keine Erfahrungswerte gab. Erst heute, wo jedes Jahr zig Raketen hochgeschossen werden, haben wir Erfahrung damit, was dabei passieren kann, und können vernünftig kalkulieren.”
Nur eine Voraussetzung gibt es dafür, dass die Versicherungswirtschaft auch den Terrorismus zu einem Geschäft machen kann: Der Risikoausgleich muss funktionieren, deshalb dürfen sich Schäden in der Größenordnung 9/11 nicht zu schnell wiederholen.
Links
[1] http://www.extremus-online.de
[2] http://www.extremus-online.de/pdf/atb.pdf
[3] http://www.gdv.de/presseservice/19842.htm
[4] http://www.welt.de/daten/2002/09/26/0926un358689.htx
[5] http://www.n-tv.de/3063161.html
[6] http://www.handelsblatt.com/hbiwwwangebot/fn/relhbi/sfn/buildhbi/cn/bp_artikel/docid/560292/strucid/PAGE_200012/pageid/PAGE_200039/SH/0/depot/00000ex.html/index.html
[7] http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/20.09.2002/222381.asp
Autor: Dirk Eckert