taz köln, 25.04.2002, Nr. 97, S. 1
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Bahnchef Helmut Mehdorn träumt von sauberen Bahnhöfen. Dabei geht es ihm nicht nur um weniger Müll. Auch Obdachlose sind für den Manager ein Problem: Die bettelten Reisende an. “Das haben unsere Kunden nicht so gern”, verriet er letztes Jahr der Bild am Sonntag.
“Wenn Sie keine Fahrkarte haben, verlassen Sie bitte den Bahnhof.” Den Spruch hat Ernst Gischmann schon oft gehört. Der 67-Jährige ist seit zwei Jahren auf der Straße. In den Kölner Hauptbahnhof geht er kaum noch rein, “sonst kriege ich noch Hausverbot”. Schließlich will er nicht unnötig Ärger mit den Ordnungshütern.
Mit diesen Erfahrungen steht Gischmann nicht alleine. Immer häufiger werden Obdachlose im Hauptbahnhof als unerwünschte Personen angesehen und vom Ordnungspersonal ohne ersichtlichen Grund des Bahnhofs verwiesen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung von Obdachlosen, die der “Arbeitskreis Umbruch” durchgeführt hat. In dieser Organisation arbeiten Dozenten der Fachhochschule Köln und Fachleute aus den Kontakt- und Beratungsstellen für Obdachlose.
Auch Rosemarie Herting kennt das Problem. Die Sozialarbeiterin bei “Oase”, einem Verein für Wohnungslose, berichtet von einer Frau, die von der Bahnschutzgesellschaft ohne Begründung vor die Tür gesetzt wurde. Von den anderen Bahnhofsgästen unterschied sie sich nur dadurch, dass sie die Wohnungslosenzeitung Bank extra in der Hand hielt. Dabei wollte sie in das Reformhaus im Bahnhof, wo sie regelmäßig kostenlos Reste bekam. Nicht mal die Bestätigung einer Reformhausmitarbeiterin, dass die Frau Kundin sei, habe die Ordnungshüter umstimmen können.
Für Herting ein eklatanter Fall von Diskriminierung. “Die Frau hat weder gebettelt, noch Alkohol getrunken oder eine Straftat begangen.” Offensichtlich sei sie aufgrund ihres “äußeren Erscheinungsbildes” vor die Tür gesetzt worden.
Nach der Befragung des AK Umbruch geht es vielen Obdachlosen so: 62,1 Prozent sind schon mal vom Sicherheitspersonal des Bahnhofs verwiesen worden. Ein Drittel davon erhielt nicht mal eine Begründung, bei den restlichen zwei Dritteln sei die Begründung in den meisten Fällen nicht stichhaltig gewesen.
Rund 80 Prozent der Befragten durchquerten den Bahnhof, um in der Nähe gelegene Hilfseinrichtungen zu besuchen. Die Hälfte nutze den Bahnhof als Kunden, also etwa zum Einkaufen. “Wohnungslose nutzen den Bahnhof damit so, wie das von der Bahn gewollt ist”, so Herting: “als Konsumenten”.
Der Bahnhof sei im übrigen “nicht Privateigentum”. Das ist nach der Privatisierung der Bahn allerdings juristisch strittig, räumt Rosemarie Herting ein. Die Frage sei aber, ob Menschen, die nicht dem Bild des “typischen Bahnhofskonsumenten” entsprechen, einfach vor die Tür gesetzt werden dürfen.
“Über 80 Interviews lassen erkennen, dass im Kölner Hauptbahnhof Menschen, deren Lebensmittelpunkt die Straße ist, unerwünschte Personen sind”, so das Fazit des AK Umbruch. Er spricht von einer “dokumentierten Vertreibungspraxis”. Die Diskriminierung wohnungsloser Mitbürger gehöre beendet. Schließlich müsse der Bahnhof als öffentlicher Raum anerkannt werden: “Gleiche Rechte für alle Kölner Bürger” müsse auch am Hauptbahnhof gelten.
Autor: DIRK ECKERT