Bildung Geschichte / Archäologie Hochschule Köln Nordrhein-Westfalen Radio Reportage WDR
Auch ein altägyptisches Totenbuch schimmelt, wenn es nicht sachgerecht gelagert wird: Der längste Papyrus Deutschlands muss deshalb restauriert werden, um ihn künftigen Forschungsgenerationen zu erhalten. Für Leonardo war Dirk Eckert dabei.
O-Ton Fuchs:
„Hier sieht man, das sind feste Rahmen, die sind auch nicht ohne weiteres zu öffnen. Sie sind in sich wie ein Bilderrahmen, aber hinten gefüttert mit sehr viel Papiermasse.“
Auch ein altägyptischer Papyrus muss mal umziehen. Der alte Glasrahmen, der das tausende Jahre alte gelbliche Material schützt, sieht doch schon ziemlich angeranzt aus. Kein Vergleich zu den neuen Glas-Bilderrahmen, die Robert Fuchs vom Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft besorgt hat:
O-Ton Fuchs:
„Das Prinzip ist gleichgeblieben. Was sich verbessert hat inzwischen: Schon dieses Glas hat 99,9 Prozent UV-Filter. Das neue Glas, was wir jetzt haben, ist etwas leichter, dünner, hat aber 99,99 Prozent UV-Filter. Das heißt also, es ist noch mal eine Stufe besser geschützt und die Entspiegelung ist noch besser als das, was wir jetzt hier haben.“
An Institut von Robert Fuchs an der Technischen Hochschule Köln wird gerade ein besonderes Stück Papiergeschichte restauriert, das Totenbuch einer Ägypterin namens „lah-tes-nacht“. Solche Totenbücher wurden den Verstorbenen im alten Ägypten in den Sarg gelegt. Sie enthalten religiöse Texte und Formeln für das Totengericht, dem sich nach ägyptischer Mythologie alle Seelen stellen müssen, um in die Unterwelt eingelassen zu werden. Normalerweise liegt der Papyrus aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. in der ägyptologischen Sammlung an der nahen Kölner Universität, erklärt . Richard Bußmann, Professor für Ägyptologie:
O-Ton Bußmann:
„In unserer Sammlung ist dieser Papyrus natürlich ein absoluter Star. Der ist schon innerhalb der deutschen Szene ein relativer Star, weil es der längste Papyrus Deutschlands ist. Das ist natürlich auch für Abteilung Ägyptologie eine Perle. Wir haben einige weitere, sehr interessante, auch historisch relevante Papyri. Ich sag mal, von den Ausmaßen ist das natürlich hier ganz außerordentlich.“
Im Original ist das Totenbuch 23,5 Meter lang. Allerdings wurde es bereits in den 1970er Jahren in mehr als 30 Einzelteile zerschnitten. Anders lässt sich so ein Stück nun mal nicht konservieren, erklärt Robert Fuchs. Die einzelnen Stücke wurden damals zwischen zwei Plexiglasscheiben konserviert. Es sind große Papierfetzen und kleine Einzelteile, voller Totensprüche und verziert mit Bildern, die den Inhalt illustrieren. Erste Schäden erkennt der Experte sofort – Robert Fuchs zeigt auf eine farbige Zeichnung:
O-Ton Fuchs:
„Was zum Beispiel ganz wichtig ist, das sieht man hier an dieser Kuh: Man sieht ja einen weißen Belag drauf. Ein weißer Belag kann jetzt von der Bodenlagerung kommen, also Kalk zum Beispiel. Es sieht aber bisher so aus, dass es Schimmel ist. Das heißt also, es ist irgendwann mal mit Schimmel, an verschiedenen Stellen geschimmelt. Und der muss natürlich dann sorgfältig abgenommen werden, damit er nicht in irgendwelchen unglücklichen Umständen sozusagen weiterwachsen kann.“
Und so werden jetzt alle Papyrusteile herausgeholt, gesäubert und untersucht und zwischen die neuen Glasscheiben gesetzt. Dazu gibt es passende Taschen, so dass die neuen Papyrus-Stücke auch leicht transportiert werden können. Ob in Ausstellungen oder im Uni-Seminar – mit dem Totenbuch soll wieder wissenschaftlich gearbeitet werden können, sagt Richard Bußmann. Denn so ein Totenbuch stehe für eine besondere Zeit der Menschheits- und Religionszeit, erklärt der Ägyptologe:
O-Ton Bußmann:
„Der größere Kontext hierfür ist, dass Karl Jaspers mal von der Achsenzeit gesprochen hat. Das ist also die Zeit, in der der Mensch selbstreflexiv sich mit der eigenen Geschichte und Vergangenheit angefangen hat auseinanderzusetzen. Das ist ein Kontext, in dem man Kanonisierung und die Kodifizierung von religiösem Wissen betrachten. Auch dafür wäre jetzt dieser Papyrus ein interessanten Beispiel.“
Das Totenbuch ist in Hieratisch geschrieben, einer leicht abgekürzten Form des Kursiv-Hieroglyphischen. Es enthält magische Sprüche, Formeln und religiöse Anweisungen. Am bekanntesten ist das sogenannte negative Sündenbekenntnis aus Spruch 125, das der Verstorbene vor dem Jenseitsgericht sprechen muss.
O-Ton Bußmann:
„Da sagt er Dinge wie: ‘Ich habe kein Opferbrot aus dem Tempel gegessen. Ich habe nichts Böses gegen Menschen getan. Ich habe dieses und jenes nicht getan.’ Man vermutet, dass es sich dabei ursprünglich um Priestereide handelte, die sekundär in die Jenseitsliteratur eingegangen sind.“
Das Totenbuch der „lah-tes-nacht“ wurde bereits 1993 von Ursula Verhoeven komplett übersetzt und wissenschaftlich kommentiert. Der Inhalt ist also erschlossen, nun muss das originale Material für die Nachwelt gesichert werden. Schimmel und Verunreinigungen werden entfernt, dann muss alles wieder richtig zusammengesetzt und aufklebt werden. Oft sind es sehr kleine Schnipsel, da braucht man viel Zeit, erklärt Papierrestaurator Marc Holly:
O-Ton Holly:
„Also es gibt verschiedene Indizien, nach denen man geht. Man geht natürlich nach dem, was sozusagen drauf geschrieben ist. Aber man kann tatsächlich auch anhand der Papyrusstruktur bestimmte Stellen wieder zusammenfügen. Da geht man dann auch sehr viel im Durchlicht oder auch im UV-Licht, dass man sich anguckt, wie verlaufen die einzelnen Pflanzenfasern. Das ist eine sehr minutiöse Arbeit, unter dem Mikroskop in der Regel, wo man sehr viel Zeit für aufwenden kann, die aber dennoch sehr wichtig ist für das Textverständnis, dass wirklich jede Fehlstelle oder jedes Fragment dort ist, wo es seinen Platz ursprünglich auch hatte.“
Dabei geht es nicht nur darum, den Glasrahmen auszutauschen. Marc Holly will dem Schriftstück möglichst viele Geheimnisse entlocken, bevor es in die neuen Rahmen gesetzt wird. Der Papyrus, sein Material, die verwendeten Farben, alles wird wissenschaftlich untersucht und mit moderner Digitaltechnik erfasst. All das wird dann dokumentiert, so dass künftige Forscherinnen und Forscher auf diesen Datenpool zurückgreifen können und die Rahmen nicht wieder öffnen müssen. Das Totenbuch der „lah-tes-nacht“ bleibt so sicher verschlossen und konserviert – möglichst für viele weitere Jahrhunderte. .
Autor: Dirk Eckert
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