Militarisierung der Sozialen Medien? Herausforderungen für die Zivilgesellschaft

Streitkräfte und Strategien (NDRInfo), 16.12.2017

NDR Radio

O-Ton Bundeswehr in Mali

Szenen im Bundeswehr-Camp in Mali – für das deutsche Publikum aufbereitet und per Youtube ausgestrahlt: Es ist nach der   Reihe „Die Rekruten“ bereits die zweite Staffel, mit der die Bundeswehr um Nachwuchs wirbt. „Bist du bereit für eine echte Herausforderung?“, fragen die Macher. „Folge unseren Kameradinnen und Kameraden in den Einsatz nach Mali und sei hautnah mit dabei!“, heißt es weiter. Interessierte können sich parallel zu Youtube über Facebook benachrichtigen lassen, wenn es Neuigkeiten in der Serie gibt. „Aufgepasst, Kamerad!“, heißt es dann zum Beispiel. „Deine Einheit hat heute den Häuserkampf geübt – mit Diensthund! Möchtest du mehr über die Diensthunde im Einsatz erfahren?“

Die Bundeswehr ist längst nicht der einzige militärische Akteur, der das Netz für sich nutzt. In den Sozialen Medien tummeln sich inzwischen Militärs, Geheimdienste und Rüstungskonzerne. Und auch terroristische Gruppen, vorne weg der sogenannte „Islamische Staat“, der erfolgreich online seine Anhänger rekrutiert und zu Attentaten motiviert. Andrea Schneiker, Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Siegen.

O-Ton Schneiker

„Prinzipiell kann man sagen, dass fast alle Sicherheitsakteure Soziale Medien nutzen, ob das jetzt staatliche Akteure sind, also Militärs, oder nicht-staatliche, eben Rüstungskonzerne oder Private Militär- und Sicherheitsfirmen, aber auch terroristische Gruppen. – Sie nutzen zumindest eine Plattform: Twitter, oder Youtube, oder Facebook. Oder eben auch alle drei.“

Andrea Schneiker hat für das Stockholmer Friedenforschungsinstitut SIPRI untersucht, wie sich Rüstungsfirmen im Internet darstellen. Sie sind auf den wichtigsten Plattformen wie Facebook, Youtube, Twitter und Instagram vertreten und betreiben dort Imagepflege. Mit ihren Inhalten verändern sie auch die Sozialen Medien, sagt Schneiker. Denn letztlich wollen sie ihre Produkte oder Dienstleistungen verkaufen oder neue Mitarbeiter anwerben. Und deshalb propagierten sie ein rein „militärisches Verständnis von nationaler Sicherheit“, analysiert die Wissenschaftlerin:

O-Ton Schneiker

„Primär geht es dann aber oft um die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern, vor allem um die Rekrutierung von Veteranen. Und da sieht man dann, dass die Firmen ihre eigene Mission, ihre unternehmerische Mission, in den Dienst der nationalen Sicherheit stellen, also angeben, dass ihr primäres Interesse die nationale Sicherheit der USA sei. Unternehmerische Ziele, die diese Firmen auch haben, die werden gar nicht in dem Sinne als erstes präsentiert.“

Auch das Militär hat die Sozialen Medien längst für sich erschlossen. So haben zum Beispiel die US-Streitkräfte am 11. September 2012 eine eigene Richtlinie für den Umgang mit den Sozialen Medien erlassen, die Department of Defense Instruction (DODI) 8550.01. Warum Soziale Medien wichtig sind, erklärt die US-Army so – Zitat:

Zitat

„Soziale Medien sind Teil unseres täglichen Lebens und ein mächtiges Werkzeug, das wir benutzen, um die Geschichte der Army zu verbreiten. Sie helfen uns, wichtige Verbindungen zu unserem Publikum herzustellen, um das Vertrauen in Amerikas Streitkräfte aufrechtzuerhalten.“

Auch die NATO hat inzwischen den Cyberspace als Operationsraum definiert, wie das Bündnis kürzlich nach einem Arbeitstreffen mit EU-Vertretern bekannt gab. Schon 2015 hat Großbritannien eine eigene Social-Media-Brigade mit 1.500 Soldaten aufgestellt. Sie soll zum Beispiel bewaffnete Einsätze wie in Afghanistan öffentlichkeitswirksam begleiten oder die Propaganda-Aktivitäten des Islamischen Staates im Netz kontern. In Deutschland hat die Bundeswehr mit dem Kommando „Cyber- und Informationsraum“ (CIR) ihre Cyber-Fähigkeiten in einer eigenen Teilstreitkraft gebündelt.

Das Netz, in dem Millionen Nutzer täglich unterwegs sind, wird so zum möglichen virtuellen Schlachtfeld. Während des Gaza-Krieges 2014 nutzten beide Seiten, die Hamas und die israelischen Streitkräfte, die Sozialen Medien für ihre Kriegspropaganda. Auch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ wirbt im Web 2.0 um Anhänger, verbreitet ihre Botschaften und organisiert Attentate. Soziale Medien, so schrieb Robert Hannigan, der Chef des britischen Geheimdienstes GCHQ, 2014 in der „Financial Times“, seien „die bevorzugte Kommandozentrale von Terroristen“. Der „IS“ sei die erste Terrorgruppe, so Hannigan, „deren Mitglieder im Internet aufgewachsen sind“.

Russland wiederum soll per Netz sogar die Wahl in den USA manipuliert haben. In Russland oder auch China soll es sogenannte Troll-Fabriken geben mit vom Staat engagierten Netz-Aktivisten. Die Regierung in Moskau bestreitet das zwar vehement, aber dennoch verweist die Debatte darüber auf ein grundsätzliches Problem: Die Sozialen Medien könnten gezielt manipuliert werden, um die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Thomas Reinhold, Experte beim Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH):

O-Ton Reinhold

„Ich glaube, die Welt ist im Internet angekommen. In den 70er, 80er Jahren war das halt ein kleiner Kreis von Hippie-Nerds, die sozusagen da ihre Ideen von Freiheit, von Demokratie, von freien Informationsflüssen ausgelebt haben.“

Kritiker sprechen längst von einer Militarisierung des Cyberspace beziehungsweise der Sozialen Medien, die geschätzte 4 Milliarden Nutzer weltweit vernetzen. Mit dieser enormen Reichweite sind die Sozialen Medien einzigartig, um die eigenen Botschaften und Propaganda zu verbreiten, aber auch, um Informationen zu gewinnen. Rüstungskonzerne haben längst Software-Programme wie etwa „Geofeedia“ entwickelt, die eine Echtzeit-Überwachung der Sozialen Medien ermöglichen sollen.

Zugleich werden Soziale Medien aber von repressiven Regierungen auch als Gefahr angesehen, weil sich Menschen hier organisieren können, um – wie im Arabischen Frühling – die bestehende Ordnung zu stürzen. Länder wie China, die Türkei und Ägypten versuchen deshalb, die Sozialen Medien zu kontrollieren. In Israel versucht man unter anderem, Terroranschläge dadurch zu verhindern, dass man mögliche Attentäter mittels „Big Data Mining“, also der computergestützten Auswertung großer Datenbestände, aufspürt.

Einen allgemein gültigen rechtlichen Rahmen für Soziale Medien gibt es bislang nicht. So können Militärs und Geheimdienste bisher ungehindert im Cyberspace agieren, zumal die klassische Rüstungskontrolle im Web 2.0 nicht funktioniere, meint Thomas Reinhold. Denn entsprechende Beschränkungen würden sich nur schwer überwachen lassen – anders als etwa bei Atomraketen, wo jeder vereinbarte Abrüstungsschritt später verifiziert werden kann:

O-Ton Reinhold

„Rüstungskontrolle ist an dieser Stelle der ganz falsche Ansatz. Weil Rüstungskontrolle ein sehr pragmatischer Ansatz ist, der vor allem darauf beruht, dass man Dinge wirklich messen kann. Und ich glaube, in so einem diffusen Raum wie dem Cyberspace, bei dem es auch um Informationen geht, die Sie sehr schwer kontrollieren können, die Sie sehr schwer eingrenzen können und die man vielleicht auch aus demokratischer Sicht auch gar nicht kontrollieren möchte – da ist Rüstungskontrolle der falsche Weg.“

Es wird also kaum internationale Vereinbarungen geben, um die Aktivitäten der Militärs im Cyberspace einzuschränken. Denkbar wären höchstens freiwillige Verpflichtungen darüber, was erlaubt ist und was nicht. Für die einzelnen Nutzer heißt das allerdings: Das Netz hat seine Unschuld verloren. In den Sozialen Medien sind längst nicht nur private Userinnen und User unterwegs, sie sind auch umkämpftes Gebiet zwischen Staaten und Organisationen. Den Umgang damit müssen die einzelnen Nutzer genauso wie staatliche Akteure erst noch lernen. Es ist tatsächlich Neuland.

 


Autor: Dirk Eckert

Quelle: https://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript646.pdf

MP3: https://mediandr-a.akamaihd.net/download/podcasts/podcast2998/AU-20171215-1230-1100.mp3