Abstimmung über neue Kampfflugzeuge – Streit über Rüstungsprojekt in der Schweiz

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 17.05.2014

NDR Radio

Dank Volksabstimmungen können die Bürger in der Schweiz über vieles direkt entscheiden, was in anderen Ländern, wie etwa Deutschland, vom Parlament festgelegt wird. So werden die Schweizer am Sonntag wieder an die Urnen gerufen. Diesmal geht es um insgesamt vier Vorlagen: Bei einer davon – und das dürfte weltweit ziemlich einmalig sein – handelt es sich um ein Rüstungsprojekt.

Die Schweizer Regierung plant, 22 neue Gripen-E-Kampfflugzeuge zu kaufen. Sie sollen 54 veraltete Flieger vom Typ F-5 Tiger ersetzen. Das sei notwendig, um den Luftraum zu überwachen und zu schützen und den Luftpolizeidienst – das sogenannte Air policing – aufrechtzuerhalten, argumentiert die Regierung. Viele Schweizer sind da skeptisch: Über 100.000 Menschen haben mit ihren Unterschriften die Volksabstimmung durchgesetzt, um so über die Finanzierung des Rüstungsprojekts direkt entscheiden zu können. Und daher wirbt Verteidigungsminister Ueli Maurer für ein Ja zum Gripen:

O-Ton Maurer

„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger. Am 18. Mai stimmen Sie über die Beschaffung von 22 neuen Kampfjets ab. Sie entscheiden, ob wir auch in Zukunft über eine glaubwürdige Armee verfügen. Zurzeit leben wir in Frieden und Wohlstand. Aber niemand weiß, wie sich die sicherheitspolitische Lage in den komenden Jahrzehnten entwickeln wird. Der Kauf des Gripen ist eine Investition in die Sicherheit bis ins Jahr 2050.“

Hersteller der Gripen-Flugzeuge ist der schwedische Flugzeugbau- und Rüstungskonzern Saab. Für Schweden ist die Schweizer Gripen-Bestellung wichtig – so wichtig, dass Saab offenbar die Pro-Kampagne in der Schweiz in unbekannter Höhe mitfinanziert hat, wie Anfang des Jahres herauskam. Schweden, das nicht Mitglied der NATO ist, will seine Verteidigungsfähigkeiten verbessern – nicht zuletzt wegen Russlands Präsenz in der Ostsee.

Schweden hat daher selbst 60 neue Gripen-Maschinen geordert. Experten schätzen allerdings, dass Saab wegen der hohen Entwicklungskosten mindestens 300 bis 400 Jets verkaufen muss, bis das Kampfflugzeug profitabel ist, das noch gar nicht fertig gebaut ist. Daher braucht der schwedische Rüstungskonzern unbedingt Aufträge aus dem Ausland. Da kam es gerade recht, dass neben der Schweiz auch Brasilien den Kauf von 36 Gripen-Kampfjets erwägt. Auch Dänemark ist interessiert.

Doch die Anschaffung des Gripen kostet die Schweiz stattliche 3,1 Milliarden Franken, was etwa 2,5 Milliarden Euro entspricht. In der Parlamentsdebatte über das Rüstungsprojekt im September kritisierte Nationalrätin Evi Allemann von der sozialdemokratischen Fraktion den geplanten Kauf als überflüssig:

O-Ton Allemann

„Ein wirksamer Luftschirm ist auch ohne neue Jets gewährleistet. Die Schweizer Luftwaffe ist im internationalen Vergleich auch nach der Ausmusterung der Tiger F-5 sehr gut gerüstet. Zur Erfüllung des Luftpolizeiauftrages genügen die vorhandenen F/A-18, von denen wir 33 Stück haben, längst, zumal wir ‚von Freunden umzingelt’ sind. Ein Luftkriegsszenario ist derart unwahrscheinlich, dass es sich nicht lohnt, dafür Milliarden aufzuwenden.“

Allemann stört sich vor allem daran, dass der Gripen die sogenannte Erdkampffähigkeit habe, also Bodenziele bombardieren kann. Ein solches Szenario sei derart unwahrscheinlich, dass es sich nicht lohne, dafür so viel Geld zu investieren, kritisierte die Abgeordnete. Ihr Antrag, den Gripen als reines Jagdflugzeug zu bestellen, das nicht in Bodenkämpfe eingreifen kann, wurde allerdings abgelehnt.

In der Tat wirft die geplante Bewaffnung Fragen nach der sicherheitspolitischen Konzeption auf. Schließlich weiß jeder, dass ein Luftkrieg für die Schweiz erstens ziemlich unwahrscheinlich ist und dass das kleine Alpenland ihn zweitens auch mit 22 Gripen-Flugzeugen wohl kaum gewinnen könnte. Und so musste sich Verteidigungsminister Maurer im Nationalrat die polemische Frage gefallen lassen, wen er denn mit dem Gripen bombardieren würde. Die Luftwaffe brauche diese Fähigkeit aus Prinzip, rechtfertigte Maurer das Rüstungsprogramm und fragte zurück, wer denn in Europa im Ernstfall der „reichen Schweiz zu Hilfe“ eilen würde:

O-Ton Maurer

„Wir haben nicht eine Armee, um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern. Die Fähigkeit, in der Luft Feuer zu transportieren, ist eine Notwendigkeit, weil wir sie an anderen Orten verloren haben. (…) Und mit dem Gripen haben wir primär ein Flugzeug zur Luftkampfverteidigung. Wir möchten gleichzeitig aber auch die Luft-Boden-Fähigkeit wieder aufbauen können, die im Moment fehlt – in der Hoffnung, dass wir sie nie brauchen. Solange uns Frankreich, Österreich und Liechtenstein nicht bombardieren, haben wir selbstverständlich keinen Grund, sie zu bombardieren.“

Doch diese Argumentation leuchtet nicht nur linken und pazifistischen Armeegegnern wie der „Gruppe Schweiz ohne Armee“ nicht ein. Auch im bürgerlichen Lager gibt es Skeptiker, denen der Gripen im Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen schlicht zu teuer ist. Außerdem kritisieren sie den Gripen-E als „Papierflieger“, da das Flugzeug noch nicht mal fertig entwickelt ist. Schließlich monieren sie, dass Alternativangebote gar nicht geprüft worden sind.

Auch Saab als Hersteller ist in der Schweiz umstritten. Wer weiß schon, ob die Schweden das Flugzeug fortentwickeln werden? Oder in ein paar Jahrzehnten überhaupt noch als Flugzeugbauer existieren? Statt sich an die Schweden zu binden, empfehlen sie, ein Flugzeug sozusagen von der Stange zu kaufen. FDP-Nationalrat Walter Müller behauptete, ein Flugzeug wie der Eurofighter vom europäischen Rüstungskonzern Airbus Defence käme weitaus billiger und könne gerade die Aufgabe, den schweizerischen Luftraum zu schützen, besser erfüllen:

O-Ton Müller

„Nach dem Mirage-Skandal wollte man eigentlich nur noch Flugzeuge kaufen, die operationell sind. Dieses Ziel wird mit dem Gripen klar verfehlt. Zur operationellen Wirksamkeit kann man im Bericht der Subkommission lesen, dass trotz 98 technischen Verbesserungen der Gripen im Bereich Luftpolizeidienst nur die Note ‚knapp befriedigend’ erhielt. Wir können doch nicht einen neuen Kampfjet kaufen, der genau in unserem Kernbereich des Luftpolizeidienstes nicht genügt! Ein neues Flugzeug ist eine Investition für die nächsten vierzig Jahre, und es durchläuft in dieser Zeit mehrere Upgrades. Kleine Stückzahlen führen zu sehr teuren Nachrüstungen. Der Gripen könnte am Ende der Laufzeit zu einer sehr teuren Lösung werden.“

Gripen-Befürworter wie Nationalrat Hans Fehr, wie Verteidigungsminister Maurer Mitglied der Schweizerischen Volkspartei (SVP), weisen solche Vorwürfe allerdings zurück. Der neue Gripen sei für die Luftraumüberwachung geeignet, beteuerte er:

O-Ton Fehr

„Wir haben uns vom Armeechef, vom Luftwaffenchef, vom Chef VBS und von anderen eingehend informieren lassen. Wir erhielten zum Teil Einblick in Unterlagen, die nicht öffentlich sind. Ich kann Sie beruhigen: Der Gripen kann auch in der Nacht fliegen und kämpfen, er kann noch viel mehr: Er kann Luftpolizeiaufgaben wahrnehmen, er kann die Bodenunterstützung sicherstellen, er ist ein Garant für einen sicheren Luftschirm.“

Sozialdemokraten, Grünliberale und Grüne überzeugte das nicht. Sie stimmten im vergangenen September im Nationalrat gegen den Gripen, der die Anschaffung aber dennoch mit großer Mehrheit beschloss. Jetzt haben die Bürger das Wort. Laut Umfragen vor der Volksabstimmung hat der Gripen kaum Chancen. Bis zu zwei Drittel der Befragten sind gegen das Rüstungsprojekt. Der Gripen werde wohl an der Urne zerschellen, sagte die Schweizer Tageswoche voraus.


Autor: Dirk Eckert

Quelle: http://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/streitkraeftesendemanuskript468.pdf

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20140516-1228-2142.mp3