Atommacht Israel – Hindernis für die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen?

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 22.05.2010

NDR Radio

Eines der schwierigsten Probleme auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt ist der Nahe Osten. Dort stehen sich arabische Staaten und Israel mehr oder weniger feindlich gegenüber. Als letzte Rückversicherung gegen diese Bedrohung setzt Israel auf seine Atomwaffen.

Über das israelische Nuklearprogramm ist offiziell nichts bekannt. Dem Atomwaffensperrvertrag ist das Land nie beigetreten. Israel werde nicht das erste Land sein, das Atomwaffen im Nahen Osten einführt, lautet seit Jahrzehnten die offizielle Auskunft. Doch durch investigative Recherchen, Geheimdiensterkenntnisse, Berichte von Beteiligten und ähnliches ist das Geheimnis über die israelische Bombe inzwischen an die Öffentlichkeit durchgesickert. Demnach begann Israel bald nach der Staatsgründung 1948 mit seinem Atomprogramm. Mit französischer Hilfe wurde in Dimona in der Negev-Wüste ein Reaktor gebaut, der Plutonium produzieren kann. 1986 legte schließlich Mordechai Vanunu, ein ehemaliger Techniker von Dimona, einer Londoner Zeitung Beweise für die Existenz eines Atomwaffenprogramms vor. Er wurde entführt, nach Israel gebracht und dort zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.

Seit den 60er Jahren dürfte Israel genügend Plutonium für 100 bis 200 Atomsprengköpfe produziert haben, schätzt die Federation of American Scientists. Dabei waren Atomwaffen anfangs auch in der israelischen Regierung umstritten. Denn die nukleare Aufrüstung verschlang Unsummen. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber Schätzungen gehen von Hunderten von Millionen Dollar aus, die bis Mitte der 60er Jahre investiert worden sind. Dieses Geld fehlt natürlich an anderer Stelle: in der zivilen Produktion, im Sozialbereich, aber auch bei der konventionellen Rüstung.

Außerdem stellte sich die Frage, was Israel mit Atomwaffen eigentlich anfangen kann. Palästinensische Selbstmordattentäter lassen sich durch Atomwaffen nicht abschrecken. Und die israelische Bombe hat weder den Sechs-Tage-Krieg 1967 noch den Jom-Kippur-Krieg 1973 verhindert. Zwar konnte Israel im Jom-Kippur-Krieg mit der Drohung, Atomwaffen einzusetzen, seine in der Anfangsphase drohende Niederlage verhindern. Hätte die Drohung aber nicht funktioniert, wäre Israel nur die sogenannte Samson-Option geblieben: Wie in der Bibel Samson die Philister, hätte Israel seine Feinde mit in den Tod gerissen.

Heute dürften in Israel nur noch wenig Zweifel am Sinn des Atomprogramms bestehen. Denn nicht nur Israel verdächtigt den Iran, Atomwaffen bauen zu wollen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte am 22. März in einer Rede vor dem einflussreichen American Israel Public Affairs Committee:

O-Ton Netanjahu (overvoiced)

„Irans schamlose Ankündigung, nukleare Bomben zu entwickeln, ist zuallererst als Drohung gegen Israel zu verstehen, aber es ist auch eine ernste Bedrohung der Region und der Welt. Israel erwartet von der internationalen Gemeinschaft, sich schleunigst und entschieden dieser Gefahr in den Weg zu stellen. Aber wir werden immer unser Recht auf Selbstverteidigung bewahren.“

Und zu diesem Recht auf Selbstverteidigung gehört für manche Hardliner sogar der Einsatz von Atomwaffen, um vermutete iranische Atomanlagen zu zerstören. Insofern scheinen die Chancen für nukleare Abrüstung im Nahen Osten derzeit gering zu sein. Allerdings hat US-Präsident Obama Israel jüngst indirekt dazu aufgefordert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Im April hatte er zu einem Gipfel über nukleare Sicherheit in Washington geladen. Auf einer Pressekonferenz sagte Obama auf die Frage nach Israel:

O-Ton Obama (overvoiced)

„Egal ob wir über Israel reden oder irgendein anderes Land – es ist wichtig, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten. Das ist übrigens nicht neu, sondern eine gleichgebliebene Position, die schon Regierungen der Vereinigten Staaten vor meiner Administration vertreten haben.“

Einen direkten Kommentar zum israelischen Nuklearprogramm lehnte Obama aber ab. Tatsächlich hat die US-Regierung das israelische Atomprogramm offiziell nie gebilligt. Anfang der 60er Jahre fürchtete der damalige US-Präsident John F. Kennedy einen nuklearen Rüstungswettlauf in Nahost und drängte Israel unter Ministerpräsident David Ben Gurion, Inspektionen im Atomreaktor in Dimona zuzulassen. Die fanden auch statt, aber Israel gelang es, die Inspektoren zu täuschen.

Als Israel schließlich die Bombe hatte, fanden sich die USA schnell damit ab. 1969 sollen US-Präsident Richard Nixon und die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir sogar eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben. Seither setzen die USA Israel nicht mehr unter Druck und liefern zum Beispiel weiter konventionelle Waffen. Im Gegenzug bleibt Israel bei seiner Politik der nuklearen Zweideutigkeit und der Aussage, wonach das Land nicht das erste sein wird, das Atomwaffen im Nahen Osten einführt. Auf diese Weise soll ein Rüstungswettlauf verhindert werden. Und nicht zuletzt soll vermieden werden, dass Washington bloßgestellt wird. Denn die US-Regierung ist gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen über den Kreis der fünf offiziellen Atommächte hinaus, legt aber offensichtlich unterschiedliche Maßstäbe an: Während sie die israelische Bombe toleriert, will die US-Regierung verhindern, dass der Iran Nuklearmacht wird.

Abrüstungsexperten halten einen Nahen Osten ohne Atomwaffen dennoch für möglich – trotz der israelischen Bombe und trotz des Atomprogramms des Iran, der entgegen allen Beteuerungen von Präsident Ahmadinedschad vielleicht doch Nuklearmacht werden will. Eine Möglichkeit wäre die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone. Die Bedingungen dafür könnten jetzt schon ausgearbeitet werden, sagt Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Er sieht trotz der verhärteten Fronten Spielraum für Abrüstungsschritte. Israel könne zum Beispiel den Reaktor in Dimona schließen, ohne seine Sicherheit zu gefährden. Harald Müller:

O-Ton Müller

„Israel hat nach allem menschlichen Ermessen bei weitem genug für ein minimales Abschreckungsdispositiv und braucht eigentlich kein weiteres Plutonium. Insofern könnte Israel den Reaktor auch unter Verifikation schließen. Und auch das wäre ein wichtiger Schritt für die arabischen Länder.“

Vor Beginn der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages äußerte sich die Staatsministerin im US-Außenministerium, Ellen Tauscher, grundsätzlich positiv zu einer Zone ohne Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten. Vor Journalisten sagte sie am 30. April in Washington:

O-Ton Tauscher (overvoiced)

„Die Vereinigten Staaten unterstützen die Idee einer Konferenz, die darauf hinarbeitet. Allerdings müssen erst die Bedingungen im Nahen Osten besser werden. Zum Beispiel sollte ein umfassender Friedensplan vorliegen, so dass Staaten auch an einer regionalen Konferenz für eine Massenvernichtungswaffenfreie Zone teilnehmen können.“

Zuerst Frieden, dann Abrüstung – das entspricht exakt der israelischen Haltung: Auch Israel ist, so die offizielle Position, grundsätzlich für einen atomwaffenfreien Nahen Osten – allerdings erst nach einem Friedensschluss. Das widerspricht allerdings der Idee der Rüstungskontrolle, wonach sich ein gegenseitiges Hochrüsten verhindern lässt – auch und gerade dann, wenn sich zwei Seiten feindlich gegenüber stehen.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://media.ndr.de/download/podcasts/podcast2998/AU-20100521-1552-2701.mp3