Verbot von Streumunition – Verhandlungserfolg vor allem aufgrund des öffentlichen Drucks

Streitkräfte und Strategien (NDR Info), 29.11.2008

NDR Radio

O-Ton:

„I see no objections. The convention is adopted. (Applaus)”

Die Freude war groß am 30. Mai dieses Jahres in Dublin. Zehn Tage lang hatten die Delegierten verhandelt, bis sie sich auf einen Vertragstext geeinigt hatten. Am Ende billigten 107 Staaten die Vereinbarung, mit der Streubomben erstmals völkerrechtlich geächtet werden und die am 3. Dezember in Oslo unterschrieben werden soll.

Mit dem Vertrag soll eine Waffe gebannt werden, die besonders Zivilisten gefährdet. Jede Streubombe besteht aus vielen kleineren Geschossen. Ein Teil dieser Munition, bis zu 40 Prozent, explodiert jedoch nicht sofort, sondern bleibt am Boden liegen. Für Zivilisten, insbesondere für Kinder, ist diese Munition nach einem Krieg eine tödliche Gefahr. Länder wie Afghanistan, der Irak oder der Libanon sind immer noch stark von Streumunition belastet. Zuletzt haben nach Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sowohl Russland als auch Georgien im Konflikt um Südossetien Streumunition eingesetzt. Mindestens 25 Zivilisten sollen dadurch getötet worden sein.

Herstellung, Lagerung, Verkauf und Einsatz solcher Streubomben sollen deshalb verboten werden, wie es Menschenrechtsorganisationen schon seit Jahren fordern. Welche Folgen ihr Einsatz hat, machte Kenneth Roth, der Direktor von Human Rights Watch, Anfang des Jahres auf der renommierten Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik deutlich:

O-Ton Roth (overvoice)

„Bei der Invasion im Irak 2003 haben Streubomben mehr zivile Opfer verursacht als jedes andere Waffensystem – wenn man mal von den sogenannten Kleinwaffen absieht. Und im Kosovo-Krieg starb schätzungsweise ein Viertel der 500 Zivilisten, die durch das NATO-Bombardement getötet wurden, durch Streubomben, die von der NATO in bewohnten Gebieten eingesetzt worden sind.“

Wenn im Dezember die sogenannte „Convention on Cluster Munition“ unterzeichnet wird, ist das vor allem ein Erfolg der Zivilgesellschaft. Seit Jahren werben Nichtregierungsorganisationen für die Ächtung von Streumunition. Am 13. November 2003 wurde in Den Haag die Cluster Munition Coalition (CMC) gegründet, in der heute rund 300 Nichtregierungsorganisationen aus über 80 Ländern organisiert sind. Aus Deutschland dabei sind die Gruppen Handicap International und das Aktionsbündnis Landmine.de. Das Vorbild für die Streubomben-Gegner war die internationale Kampagne gegen Landminen. Vor allem durch öffentlichen Druck erreichten die Landminen-Gegner, dass Anti-Personenminen 1997 durch die Ottawa-Konvention international geächtet wurden. Für ihre Arbeit und ihr Engagement ist der Kampagne gegen Landminen schließlich der Friedensnobelpreis verliehen worden.

Innerhalb kurzer Zeit sind nun auch die Aktivisten mit ihrem Protest gegen Streubomben erfolgreich. Anfang 2007 fand in Oslo eine erste Konferenz statt. Eingeladen waren interessierte Staaten und Nichtregierungsorganisationen. Auf der Konferenz wurde ausgelotet, wie ein Abkommen über die Ächtung von Streumunition verwirklicht werden könnte. Am Ende einigten sich 46 Staaten damals darauf, bis Ende 2008 ein Abkommen zur Ächtung von Streumunition auszuarbeiten, das völkerrechtlich verbindlich ist.

Damit war der sogenannte Oslo-Prozess geboren. Vier weitere Konferenzen folgten – auf der letzten, im Mai dieses Jahres in Dublin, wurde schließlich ein Vertragsentwurf verabschiedet, der nun – erneut in Oslo – unterschrieben werden soll. 55 Staaten haben bereits angekündigt, den Vertrag zu unterzeichnen. Ratifizieren ihn 30 Staaten, kann er in Kraft treten.

Die Nichtregierungsorganisationen unterstützen den ausgehandelten Vertragsentwurf – auch wenn die Befürworter einer umfassenden Ächtung aller Streubomben zwei Kröten schlucken mussten, wie Thomas Küchenmeister, der Leiter des deutschen Aktionsbündnisses Landmine.de, sagt:

O-Ton Küchenmeister

„Man hat sich glücklicherweise – und deshalb favorisieren wir ja auch diesen Oslo-Prozess – auf ein komplettes Verbot bis auf die wenigen Ausnahmen in Bezug auf sensorgezündete Flächenwaffen geeinigt. Die Kröte, die wir aus unserer Sicht haben schlucken müssen, ist der Artikel 21, also wo jedem Vertragsstaat, der dieses Streumunitionsverbot unterzeichnet, dennoch die Möglichkeit gegeben wird, mit einem anderen Staat, der nicht Vertragsstaat ist, gemeinsame militärische Operationen zu machen, bei denen auch Streumunition gleich welcher Art zum Einsatz kommt.“

Dass es nicht zu einem vollständigen Verbot aller Streubomben kam, liegt auch an der Haltung der deutschen Bundesregierung. Sie hatte sich vor der Konferenz in Dublin für einen Dreistufenplan eingesetzt. Demnach sollte zunächst nur besonders gefährliche Streumunition verboten werden. Ein Komplettverbot wäre erst in einem zweiten Schritt, mittelfristig erfolgt. Drittens sollte neue Munition entwickelt werden, die die Bekämpfung von Punktzielen möglich macht, ohne die Zivilbevölkerung zu gefährden. Ein sofortiges Totalverbot hätte nach Ansicht der Berliner Regierungskoalition zu einer – wie es hieß – „Fähigkeitslücke“ bei der Bundeswehr geführt.

Mit dem Dreistufenplan konnte sich die Bundesregierung zwar nicht vollständig durchsetzen, aber sensorgesteuerte Streumunition, die mit elektronischer Zielerkennung und Selbstzerstörungsmechanismus ausgestattet ist, ist von dem Verbot ausgenommen. Solche Munition wird unter anderem in Deutschland von der Firma Rheinmetall hergestellt. Hier hat die Bundesregierung offensichtlich die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie im Auge gehabt. Kritiker halten nichts von diesen sogenannten „intelligenten“ Streubomben. Im Libanonkrieg 2006 hat Israel zum Beispiel Bomben vom Typ M85 eingesetzt, die mit einem Selbstzerstörungsmechanismus ausgestattet sind. Nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen hat jedoch auch diese Waffe eine Fehlerquote von über zehn Prozent – weit mehr als die ursprünglich von Deutschland angestrebte Quote von einem Prozent.

Möglich bleiben künftig – nicht zuletzt auf deutschen Druck – gemeinsame Militäroperationen mit Nicht-Vertragsstaaten, auch wenn diese dabei Streubomben einsetzen. Diese Ausnahme ist für die NATO von einer besonderen Bedeutung. Denn 20 ihrer 26 Mitglieder haben dem Dublin-Entwurf gegen Streubomben zugestimmt. Aber das wichtigste Bündnismitglied, die Vereinigten Staaten, lehnt die Vereinbarung ab.

Ein weiteres Manko des Vertrages ist, dass ausgerechnet die Länder, die den Hauptteil der Streubomben herstellen und besitzen, den Vertrag nicht unterzeichnen wollen. Dazu gehören neben den USA Russland, China und andere Länder wie Brasilien, das solche Munition ebenfalls produziert. Die Nichtregierungsorganisationen setzen aber darauf, dass durch den Vertrag der moralische Druck auf alle Nicht-Unterzeichner wächst und letztlich immer mehr Staaten dem Vertrag beitreten werden. Thomas Küchenmeister:

O-Ton Küchenmeister

„Und wir sind da sehr guter Hoffnung, dass vielleicht nicht im nächsten Jahr oder übernächstem Jahr, aber dann, wenn die Zahl der Vertragspartner genau wie beim Anti-Personenminenverbot langsam steigt – wir sind ja jetzt bald schon bei 150 Ländern – ,dass dasselbe auch mit Streumunition passieren wird.“

Und tatsächlich haben sogar die USA inzwischen versprochen, ab 2018 auf den Einsatz von solcher Streumunition zu verzichten, deren Blindgängerquote bei über einem Prozent liegt. Allerdings haben die Amerikaner noch in letzter Minute zusammen mit Russland und China versucht, die Ächtung von Streumunition zu unterlaufen: Über eine Änderung der UN-Waffenkonvention wollten sie Streubomben de facto legalisieren. Bei einem Treffen in diesem Monat in Genf scheiterte dieser Versuch jedoch an den Staaten, die den Oslo-Prozess unterstützt haben.


Autor: Dirk Eckert

MP3: http://195.185.185.83/ndr/mp3/podcast/ndrinfo_streitkraefteundstrategien/20081129_ndrinfo_streitkraefte.mp3