Neues Deutschland, 09.07.2002, S. 13
Innenpolitik Neues Deutschland
Der Evangelische Pressedienst (epd) wurde 1937 von den Nazis verboten, der damalige Chefredakteur Focko Lüpsen war Widerstandskämpfer, verfolgt von der Gestapo. So lautete bislang die offizielle Geschichte des epd, wie sie Lüpsen nach dem Krieg selbst erzählt hat. Die Alliierten haben Lüpsen seine Vergangenheit im Widerstand ungeprüft abgenommen, der epd konnte schnell wieder an den Start gehen. Niemand hat die Legende vom Widerstand je in Frage gestellt.
Bis letztes Jahr. Da stieß der ehemalige epd-Chefredakteur Hans Hafenbrack bei Recherchen zu einem Buch über den epd auf Ausgaben aus einer Zeit, als der Dienst angeblich längst verboten war. Die Chefredaktion beauftragte daraufhin den epd-medien-Redakteur Volker Lilienthal, die epd-Geschichte zu prüfen. Seine Recherchen, die inzwischen als epd-medien-Sonderheft erschienen sind, zeigen, dass die Agentur bis 1939 an Tageszeitungen lieferte, bis 1941 an Kirchenzeitungen, und zwar durchaus regimekonform.
Lilienthal hat die alten Ausgaben in der Staatsbibliothek Berlin einsehen können. „Unser Volk hat sich erhoben, um mit den Waffen einzustehen für einen Frieden der Gerechtigkeit. Der Führer hat uns alle zum Einsatz gerufen, und wir alle stehen bereit, wo und wie er uns braucht“, schrieb Lüpsen etwa in einem zweiseitigen Leitartikel am 4. September 1939, drei Tage nach dem deutschen Überfall auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann. Das war immerhin zwei Jahre nach dem vermeintlichen Verbot.
„Unser Dank für die Bewahrung des Führers“ lautete die epd-Schlagzeile nach dem missglückten Attentat von Georg Elser auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller, ebenfalls 1939. Im Krieg verbreitet der epd „Siegeszuversicht“, wie ein Leitartikel überschrieben war. Ein Soldat wurde mit den Worten zitiert.: „Eins ist sicher: hinter dem Werk des Führers steht der Allmächtige.“ Als Lüpsen 1940 zum Kriegsdienst eingezogen wurde, übernahm Kurt Böhme die Leitung des epd und radikalisierte den Kurs nochmals. Jetzt lieferte epd laut Lilienthal „regelmäßig und systemkonform, Ausgabe für Ausgabe, Propaganda für den begonnenen Vernichtungskrieg der Nazis“.
Wegen Papiermangel kam im Mai 1941 das Ende. „Dies aber war kein Verbot aus politischen Gründen, das den epd als Einzigen getroffen hätte, sondern eine offiziell kriegswirtschaftlich begründete Schließung, die in jenem Frühsommer zahlreiche kirchliche und auch weltliche Verlage traf“, schreibt Lilienthal. Am Inhalt kann es jedenfalls nicht gelegen haben: „Der epd leistete die Propaganda, die verlangt war, und steigerte sich dabei bis zur Kriegsschwärmerei“.
Die Karriere von Focko Lüpsen ging nach dem Krieg steil aufwärts. Wegen seiner vermeintlichen Vergangenheit als Widerstandskämpfer bekam er eine Lizenz, den Evangelischen Pressedienst, früher in Berlin beheimatet, baute er in Bethel bei Bielefeld wieder auf. Jahrelang war Lüpsen noch Chefredakteur des epd und gehörte zu den wichtigsten evangelischen Publizisten in Westdeutschland. Unter anderem war er Direktor des Evangelischen Presseverbands in Westfalen und Lippe, Vorsitzender des Verbands Rheinisch-Westfälischer Zeitschriftenverleger und Mitglied im WDR-Rundfunkrat. Auch das Bundesverdienstkreuz bekam er.
Die Legende vom Widerstand hat Lüpsen mehrfach bekräftigt Sie ging in die wissenschaftliche Literatur ein, „großenteils völlig ungeprüft, obwohl hier doch kein Unabhängiger Zeugnis abgelegt hatte, sondern ein beteiligter Zeitzeuge, dessen Behauptungen wissenschaftlich hätten gegengeprüft werden müssen“, schreibt Lilienthal. Er sieht den Fall auch als Beispiel, wie „durch pures Abschreiben Fehler und Irrtümer in die Wissenschaft“ kommen.
Für epd-Chefredakteur Thomas Schiller ist Ergebnis der Recherchen „erschütternd“: „Hinweise auf eine deutliche Distanz des epd zum Regime lassen sich – jedenfalls aus heutiger Sicht – ebenso wenig erkennen wie mögliche Anlässe für ein Verbot. Die Berichterstattung des epd entsprach weitestgehend dem Duktus der NS-Propaganda.“ Jahrzehntelang hätten die epd-Redaktionen „mit der guten Gewissheit, in der Tradition eines Mediums beschäftigt zu sein, das von den Nationalsozialisten verboten worden sei“, gearbeitet. „Dass dies nicht stimmt, ist für uns eine bittere Erkenntnis.“
Das Sonderheft kann unter http://www.epd.de/medien eingesehen werden (web-archiv: Nr.48, 24. Juni 2002).
Autor: Dirk Eckert