philtrat, 31.12.1997, Zeitung der StudentInnenschaft der Philosophischen Fakultät der Universität Köln, nr. 20, S. 3
Bildung, Hochschule philtrat
Der Frankfurter Soziologe Karl Otto Hondrich erklärte es in der Frankfurter Rundschau nochmals: StudentInnen sind in der Gesellschaft privilegiert. Deshalb sei es nur gerecht, wenn sie wenigstens ihre Ausbildung selber bezahlen – via Studiengebühren. Die Forderung noch kostenloser Ausbildung für alle, oder eben Bildung für alle, wird hier diffamiert als Umverteilung von unten nach oben.
Damit steht Hondrich allerdings nicht allein. Peter Glotz, früher bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, jetzt Rektor der Universität Erfurt und 1994 im Schattenkabinett von Rudolf Scharping als Bildungsminister vorgesehen, haut in die gleiche Kerbe. Nicht, daß die Feststellung, daß StudentInnen die Privilegierten sind, falsch wäre. Aber warum fordern ProfessorInnen nie, die Reichen einfach stärker zu besteuern und das mehr eingenommene Geld in die Ausbildung zu stecken?
Beliebter ist es in der Tat, sich in Gedanken und Spekulationen über Studiengebühren bei möglichst großer sozialer Absicherung zu ergehen. Wie auf einer Podiumsdiskussion an der Philosophischen Fakultät zu sehen war, lassen sich ProfessorInnen auch mit Hinweisen auf die nackte Realität nicht von ihren Träumereien abbringen. Schon das BAföG funktioniert nicht mehr richtig. Wie sollen da jemals Studiengebühren dauerhaft entschärft werden, wenn nicht mal die Studienfinanzierung für sozial Schwache gesichert werden kann? In Baden-Württemberg wurden im Wintersemester 1997/98 Studiengebühren eingeführt. Von Sozialklauseln keine Spur. Die dortigen Gebühren treffen alle StudentInnen gleich, unabhängig von der finanziellen Situation. Das müßte eigentlich alle Wunschvorstellungen einer gerechten Gesellschaft mit Studiengebühren zerplatzen lassen.
Vielleicht ist es ja auch etwas naiv gedacht, die ProfessorInnen würden sich auf der Stelle mit den Streikenden solidarisieren. Warum auch, schließlich wäre der Effekt von Studiengebühren, nämlich die Abschreckung vom Studium, durchaus im Sinne der ProfessorInnenschaft. Endlich wieder kleinere Seminare. Das wäre sicher auch durch eine bessere personelle Ausstattung der Universitäten zu erreichen. Doch ist es in der Tat bequemer, Forderungen auf Kosten anderer zu stellen, wenn das sowieso im Mainstream liegt.
Hinzu kommt auch noch, daß offensichtlich viele ProfessorInnen sich der Wirkung von Studiengebühren immer noch nicht richtig bewußt sind. Während das studierwillige Arbeiterkind die Freiheit der Berufswahl beziehungsweise seine Zukunftschancen überhaupt bedroht sieht (wie sollen 1000 Mark pro Semester aufgebracht werden), scheint die Studiengebührenfrage für viele ProfessorInnen mehr eine akademische Überlegung zu sein. Betroffen sind sie nicht, waren es auch noch nie, und ihre Kinder werden es auch nicht sein.
So „durchschauen” manche ProfessorInnen leicht die Anliegen der StudentInnen. Die pauschale Ablehnung von Studiengebühren sei ein Schonprogramm für Besserverdienende, heißt es dann beispielsweise. Seltenheitswert hat da Prof. Hubert Wurmbach von der Universität Köln, der öffentlich erklärte, bei der Frage nach Studiengebühren handele es sich um eine Grundsatzentscheidung. Die Frage sei, ob Bildung ein privates Gut sein sollte, das käuflich ist, oder ob Bildung eine Aufgabe der Gesellschaft ist. Leider scheint Wurmbach mit dieser Erkenntnis allein zu stehen.
Klaus Landfried, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, forderte im November, die Hochschulen müßten bei anhaltend knappen Geldmitteln und steigenden StudentInnenzahlen auch mal einzelne Studiengänge „dicht” machen dürfen. Mit solchen Überlegungen steht er in der ProfessorInnenschaft nicht allein. So äußerte der Dekan der Philosophischen Fakultät in Köln, Walter Pape, während des Streiks, die Hochschulen müßten auch mal einen Aufnahmestopp verfügen können. Schließlich sei es sinnlos, wenn Jahr für Jahr mehr AbsolventInnen die Hochschule verlassen als auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden.
De facto ist es jedoch inzwischen längst Realität, daß die Hochschulen darüber entscheiden, wie viele StudentInnen ihre Hochschule aufnimmt. Die Genehmigung des Landesministeriums ist nur reine Formsache. Trotzdem hat die Forderung von Landfried eine neue Qualität.
Die Frage ist: Wer entscheidet denn darüber, wie viele AbsolventInnen gebraucht werden, beziehungsweise soll darüber entscheiden? Nach Landfried die Hochschulen. Wer hat an den Hochschulen das Sagen? Die ProfessorInnen. Und wie sich im Streik herausstellte, wollen sie daran auch nichts ändern. Viele ProfessorInnen, und eben auch Landfried, fordern für sich das Recht, darüber zu bestimmen, wer in diesem Lande welchen Beruf ergreift.
Soll einE PhilosophieprofessorIn darüber entscheiden, wieviele Menschen Philosophie studieren wollen? Wenn ja, nach welchen Kriterien? Philosophischen, ethischen oder ökonomischen? Und soll er/sie oder irgendjemand anderes überhaupt über den Lebens- und Berufsweg anderer Menschen entscheiden dürfen? Da soll noch mal jemand sagen, das Mittelalter sei schon lange vorbei. Zünftisches Denken ist an der Universität beziehungsweise bei der ProfessorInnenschaft immer noch an der Tagesordung.
Die eigene Zukunft war auch eines der zentralen Motive der Streikenden. Die Drohung von Studiengebühren von 1000 Mark pro Semester, die kaum jemand aufbringen könnte, machte vielen klar, daß es hier schlicht und einfach auch um ihre eigene Zukunft geht. Und viele StudentInnen ließen sich auch nicht von dem neuen national-ökonomischen Argumentationsmuster beruhigen, demzufolge es dem einzelnen gut geht, wenn es dem Standort gut geht. Leider nicht alle. Die Streikenden der FH Gießen wiesen sogar per Internet darauf hin, daß die Bundesrepublik keine Rohstoffe besitzt. Der einzige Rohstoff sei die Bildung, und in die müsse investiert werden, weil Deutschland sonst den internationalen Konkurrenzkampf verliert.
Auch den ProfessorInnen sind die Streikenden nicht gefolgt. Studiengebühren werden weiter abgelehnt. Und die Streikenden mußten erfahren, daß sie aus der ProfessorInnenschaft keine größere Unterstützung erwarten können.
Autor: Dirk Eckert